Balint Journal 2011; 12(3): 65-73
DOI: 10.1055/s-0031-1271557
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

Verlorene und wiedergefundene Sprache

Teil 1 – in zeitgenössischer RomanliteraturLost and Regained Ability to SpeakPart 1 – in Contemporary Novel LiteratureA. Ertle1
  • 1Praxis für Psychotherapeutische Medizin in Herrenberg
Further Information

Publication History

Publication Date:
05 September 2011 (online)

Preview

Zusammenfassung

„Heiß’ mich nicht reden, heiß’ mich schweigen…“[1] – In Teil 1 meines Themas – verlorene und wiedergefundene Sprache – werden zwei zeitgenössische Romane verglichen: „Eine Geschichte von Liebe und Finsternis“ von Amos Oz mit „Die Erfindung des Lebens“ von Hanns-Josef Ortheil, auf dessen Roman ich den Fokus lege. Der Erwerb der Muttersprache und Beziehung zum Primärobjekt Mutter sind als komplexe Entwicklungsleistung eng miteinander verwoben. Durch spezifische Störungen (Depressivität der Mutter) kann Sprachkompetenz verloren gehen. Tabuthemen unerträglichen psychischen Schmerzes werden als sprachlich nicht mehr vermittelbar ausgegrenzt. Beispiele der zeitgenössischen Romanliteratur beschreiben diese Fehl-Entwicklungen und ihre mögliche Wiederauflösung. In weiteren Teilen der Untersuchung werden Implikationen dieser Problematik auf der Ebene der Balintgruppenarbeit beschrieben, insbesondere unter den Aspekten der Gegenübertragung und projektiven Identifizierung[2]. 

Abstract

“Don’t tell me to speak – tell me to keep si­lent…” – In part 1 of my subject – lost and regained ability to speak – contemporary novels are compared: “A Tale of Love and Darkness” from Amos Oz and “the invention of life” from Hanns-Josef Ortheil, where is the subject focus. The acquisition of na­tive speaking and its close relationship to the ­mother as primary object are essential topics of normal emotional and cognitive development and of its possible disturbances. Depressive dis­orders of the mother may result in temporary loss of the ability of speaking, and talking about un­bearable psychic pains may vanish completely. This paper deals with descriptions of pathological changes in child development as well as their possible reversibility. The following second part will focus on the manifestations of this specific constellation in balint group work, especially on the resulting modes of counter-transference and projective identification. 

1 „Heiss mich nicht reden, heiss mich schweigen, / Denn mein Geheimnis ist mir Pflicht; / Ich möchte dir mein ganzes Innere zeigen, / Allein das Schicksal will es nicht. – Zur rechten Zeit vertreibt der Sonne Lauf / Die finstre Nacht, und sie muss sich erhellen; / Der harte Fels schließt seinen Busen auf, / Mißgönnt der Erde nicht die tiefverborgnen Quellen. – Ein jeder sucht im Arm des Freundes Ruh, / Dort kann die Brust in Klagen sich ergießen; / Allein ein Schwur drückt mir die Lippen zu, / Und nur ein Gott vermag sie aufzuschließen.“ (J. W. v. Goethe) [1]

2 In Teil II soll anhand mehrerer Fallvignetten aus Balintgruppen und der Fachliteratur fokussiert auf die Problematik unbewussten und vorbewussten Verschweigens als essenziellem und problematischem Bestandteil der dargelegten Arzt-Patienten-Beziehung eingegangen werden. Untersucht wird die Widerspiegelung der vielfältigen Übertragungsrelationen zwischen Gruppe, dem Referenten und seines Berichtes und der Gruppenleitung in der folgenden Journalausgabe.

Literatur

1 „Heiss mich nicht reden, heiss mich schweigen, / Denn mein Geheimnis ist mir Pflicht; / Ich möchte dir mein ganzes Innere zeigen, / Allein das Schicksal will es nicht. – Zur rechten Zeit vertreibt der Sonne Lauf / Die finstre Nacht, und sie muss sich erhellen; / Der harte Fels schließt seinen Busen auf, / Mißgönnt der Erde nicht die tiefverborgnen Quellen. – Ein jeder sucht im Arm des Freundes Ruh, / Dort kann die Brust in Klagen sich ergießen; / Allein ein Schwur drückt mir die Lippen zu, / Und nur ein Gott vermag sie aufzuschließen.“ (J. W. v. Goethe) [1]

2 In Teil II soll anhand mehrerer Fallvignetten aus Balintgruppen und der Fachliteratur fokussiert auf die Problematik unbewussten und vorbewussten Verschweigens als essenziellem und problematischem Bestandteil der dargelegten Arzt-Patienten-Beziehung eingegangen werden. Untersucht wird die Widerspiegelung der vielfältigen Übertragungsrelationen zwischen Gruppe, dem Referenten und seines Berichtes und der Gruppenleitung in der folgenden Journalausgabe.

3 Nach J. Steiner [42] eine Methode, der Wirklichkeit aus dem Weg zu gehen. Um Angst und Schuldgefühle abzuwehren, ermöglicht der Mechanismus des „turning a blind eye“ etwas zu wissen und gleichzeitig nicht zu wissen.

4 Hiob II, 1–8.

5 Vgl. z. B. Franz Schubert: „Der Tod und das Mädchen“, Streichquartett D 810, bzw. das Lied „Der Tod und der Jüngling“ D 545.

Dr. med. A. Ertle

Facharzt für Psychotherapeutische Medizin und Allgemeinmedizin

Käthe-Kollwitz-Str. 1

71083 Herrenberg

Email: andreas.ertle@t-online.de